Christian Wulffen Blatt 1300/1000/16
Ein Werk der Stiftungssammlung

29.11.2015 - 13.02.2015

Blatt 1300/1000/16 - derart lapidare, vermeintlich exakte Werktitel sind typisch für Christian Wulffen.
Ebenso typisch ist allerdings, dass diese Titel mit ihren einfachen Wörtern und Zahlenfolgen nicht so eindeutig sind, wie sie klingen. Im aktuellen Fall wird zwar das Format (1300 mm x 1000 mm) und das 'Bildmotiv' der Arbeit (16 Linien) genannt, aber andere, ebenso wichtige Fakten werden verschwiegen: es handelt sich nicht, wie der Titel suggeriert, um 1 Blatt, sondern um 100 Blätter und diese bestehen nicht, wie man meinen könnte, aus Papier, sondern aus transparenter Folie. Ausgestellt sind also einhundert Folienblätter, jedes im Format 130 x 100 cm, jedes mit sechzehn 1,9 cm breiten, schwarzen, im Siebdruckverfahren aufgedruckten, horizontalen Streifen markiert, eine Serie, ein Reihenwerk.

Reihenwerke oder serielle Arbeiten sind ein Phänomen der Moderne, sie entstanden und entstehen vor allem im Kontext der konkreten und konstruktiven Kunst. Ihr Prinzip ist die Addition und Kombination gleichartiger oder variabler Elemente, die einer bestimmten Regel folgend, ein System ergeben.
Reihenwerke, und daher der Untertitel der Ausstellung, sind auch ein wesentliches Kennzeichen der Kunstsammlung der Stiftung für konkrete Kunst. Von Beginn an wurde dieses Sammlungskonzept konsequent verfolgt, zahlreiche Arbeiten wurden speziell für die Räume der Stiftung geschaffen.
Werke von Bernard Aubertin, Hartmut Böhm, François Morellet, Aurelie Nemours oder Anton Stankowski, um nur einige zu nennen, wurden in den vergangenen Jahren in immer wieder unterschiedlichen Präsentationsformen gezeigt.
Auch die Arbeit von Christian Wulffen war 2005 im Dachgeschoss schon einmal zu sehen, wenn auch nur für kurze Zeit. Damals waren jeweils 4 Teile horizontal und vertikal zu einer Art Modul verbunden, alle Wände waren vollständig bedeckt, die schwarze Linienstruktur dominierte das geschlossene Rechteck des Oberlichtraums.

Für die aktuelle Ausstellung, in der offenen Hallen-Architektur des 2.Obergeschosses, wurde eine andere Art der Präsentation gewählt. Ein Serienelement besteht nun aus zwei übereinander-gehängten Folienteilen, die in großem Abstand (je nach Wandlänge differieren die Zwischenräume) über die zwölf Wände verteilt sind.

Der Gegensatz zwischen den horizontalen Streifenmustern und der Vertikalität ihrer Anordnung erzeugt Spannung. Der Wechsel von Schwarz-Weiß-Struktur und Leere rhythmisiert den gesamten Raum. Assoziationen sind erlaubt, bis hin zu den Säulen-ordnungen antiker griechischer Architektur. Erinnerung ist ebenfalls erlaubt. Und aus diesem Grund findet der Besucher an den Stellen, an denen sich üblicherweise die Bildetiketten befinden, nämlich an den Stirnseiten der Wände, kleine Papiere mit Abbildungen früher Werke des Künstlers, lose Blätter aus dem Buch Stand, das 1997 anläßlich einer Ausstellung im Städtischen Kunstmuseum Singen publiziert wurde.

Aktualität erhält Wulffens Arbeit durch ausgewählte Zeitungsseiten der letzten Wochen, die einzelnen Folienblättern zugeordnet sind. Dieses Prinzip der Verwendung von Bild- oder Textdokumenten findet sich bei Wulffen bereits in den 1990er Jahren. In diesem Fall wurde die Auswahl, in Absprache mit dem Künstler, vom Kurator der Ausstellung getroffen.

Blatt 1300/1000/16, nicht nur der Titel, sondern auch das Werk ist typisch für Christian Wulffen. Es geht um Vermessung,Teilung, Beziehung und Grenze. Es geht darum, die Teile zu einem Ganzen zu verbinden, um Beziehungen zu schaffen, um Grenzen offenzuhalten und um die Veränderbarkeit von Strukturen und scheinbar geschlossenen Systemen aufzuzeigen.

Parallel zu dieser Ausstellung zeigt die Stiftung im Dachgeschoss unter dem Titel Kabinettstücke Werke aus der Sammlung Gabriele Kübler. Hier gelten völlig andere Prinzipien, ja man könnte sagen, ein größerer Unterschied als zwischen diesen beiden Ausstellungen ist kaum denkbar.
In dieser Etage herrscht totale Diversität. Der private Blick, das kleine Format, die 97 Werke von 28 Künstlern sind offenbar regellos über die gesamte Fläche der großen schwarzen Längswand verstreut. 60 Jahre Kunstgeschichte lassen eine erstaunliche Vielfalt unterschiedlicher Farben, Formen und Materialien erkennen.
Und um den Grad dieser Diversität noch zu erhöhen, sind im selben Raum Objekte der sogenannten Art premier versammelt, manche 60, andere mehr als 6000 Jahre alt. Kultgegenstände wie mesopotamische, hethitische oder anatolische Idole, Ahnenfiguren der Dogon, Zwillingsfiguren der Yoruba oder chinesische Bi-Scheiben. Aber auch afrikanische Alltagsobjekte wie Puppen, Flöten, Schleudern oder Webrollenhalter.
Auch hier gilt der private Blick des Sammlers, denn trotz aller zeitlicher und kultureller Unterschiede haben alle diese Dinge eines gemeinsam: den hohen Grad an Abstraktion und die starke Geometrisierung der Form. Prinzipen also, die auch und vor allem in der konkreten Kunst gelten.

Einzelausstellungen von Christian Wulffen
in der Stiftung für konkrete Kunst

2.12.1990 – 13.1.1991
Christian Wulffen
Maß und Zahl

20.3.1994 – 31.7.1994
Groom Nixon Wulffen

13.6.1999 – 12.9.1999
Christian Wulffen
retour de

8.9.2005 – 22.10.2005
Christian Wulffen
2002 I (6.11.02) 16 Linien

22.5.2011 – 29.10.2011
undsoweiter 7,8,9

Gabriele Kübler 23.11.2015
Fotos: Manfred Wandel