Die 2013 formulierte Umbruchsituation in der Stiftung für konkrete Kunst ist noch nicht abgeschlossen. Bestandsarchivierung und die Neustrukturierung der Depots stehen momentan im Mittelpunkt der Stiftungsarbeit. Doch auch die Ausstellungstätigkeit wird fortgeführt.
Zwei Künstler, deren Werke schwerpunktsmäßig in den Sammlungen der Stiftung vertreten sind, der Bildhauer Thomas Lenk (1933) und der Maler Bernard Aubertin (1934) werden aktuell auf zwei Etagen gezeigt.
Auf hohen weißen Sockeln, im hellen Oberlichtraum stehen in gerader Reihe zwölf Plastiken von Thomas Lenk. Die Präsentation reicht von Krüppel auf Rädern (1956) über Landschaften (1957 und 1958) und Objekte der frühen 1960er Jahre bis zu drei plastischen Modellen der Serie Um-Klapp-Bar (1968/70) und gibt damit eine umfassende Übersicht über das Frühwerk des Künstlers.
Die 1961/62 von Lenk formulierte Konzeption der Dialektischen Objekte hat er selbst zwar einige Jahre später kritisch kommentiert, doch die darin beschriebene Dialektik zwischen Raum und Materie, zwischen Plastik, Umraum und Zwischenraum wurde nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Neu hinzu kommt in der 1968 revidierten Konzeption das Thema der Distanz, der Abstände zwischen den Volumina, und neu ist auch die vom Künstler nun reflektierte Rolle des Betrachters, der angesichts der unterschiedlichen Raum- und Materialsysteme irritiert und aktiviert werden soll.
Von Anfang an fügt Thomas Lenk durch Werktitel wie Verbrannte Erde II (1958), status quasi (1963) oder Regen über Nagasaki (1964) den ästhetischen Irritationen noch eine inhaltliche, auf historisch-politische Ereignisse bezogene Dimension der Verunsicherung und Bedrohung hinzu.
Beton und Stahl / Beton und Stahl und Holz / Beton und Stahl und Marmor / Zink und Holz / Aluminium und Pappe. Alle gezeigten frühen Plastiken (mit Ausnahme des noch figurativ-realistischen Krüppels) bestehen aus mindestens zwei dialektischen Komponenten, die in ihren unterschiedlichen Materialitäten, Proportionen und Distanzen eigentlich unvereinbar sind, doch vom Künstler zu einer überzeugenden Synthese gebracht werden.
Besondere, ja außergewöhnliche Präsentationsformen sind ein Charakteristikum der Ausstellungen in der Stiftung für konkrete Kunst. Im Falle von Thomas Lenk gibt es gleich zwei Besonderheiten. Auf den Sockeln platzierte Stahlmöbel von Marcel Breuer bilden eine ungewohnte Präsentationsebene, fügen der schon im Werk immanenten Raum-Plastik-Dialektik noch einen weiteren Umgebungsraum und somit eine neue These hinzu. Und dazu liegt vor jedem Sockel ein aufgeschlagenes Buch, Abbildungen der Höhlenmalereien von Lascaux, Dürers Hieronymus im Gehäuse oder Caspar David Friedrichs Kreidefelsen auf Rügen, Fotografien von Trümmerbergen in Berlin im Jahr 1946 oder von einer Anti-Vietnamkriegs-Demonstration in Frankfurt 1970, treten in Korrespondenz oder Konfrontation mit Lenks Dialektischen Objekten.
Ebenfalls außergewöhnlich ist die Präsentationform der Monochromes noirs von Bernard Aubertin in der großen Erdgeschoßhalle. Nicht an der weißen Wand, sondern auf der transparenten Gitterstruktur von Bauzäunen werden Teile der beiden Serien der Monochrome noir cachant un Monochrome rouge (1999) und der Peinture noire (1999/2000) gezeigt.
Mehr als vierzig Jahre lang war der Name Aubertin gleichbedeutend mit der Farbe Rot. Mit seinen Monochromes rouges und Tableaux-feu wurde der Maler bekannt, sie waren und sind in Ausstellungen und Publikationen zu sehen, und sie sind in zahlreichen privaten und öffentlichen Sammlungen in der ganzen Welt vertreten. Aubertin war 'der Maler des Rot und des Feuers'. Dann, 1999, begann der Künstler plötzlich rote Bilder mit schwarzer Farbe zu übermalen, das Rot zu verstecken, zu schützen, wie er damals sagte.
Schwarz über Rot Monochrome noir cachant un monochrome rouge war der erste Schritt des Künstlers, sich von der Permanenz des Rot zu befreien. Dann in den Peintures noires ist das Rot ganz verschwunden. Dicht, tief und undurchdringlich nennt Aubertin sein Schwarz, es strahlt nicht, es vibriert nicht, doch für ihn ist es voller Leben.
26 schwarze Quadrate hängen auf 13 diagonal in den Raum gestellten Gitterzäunen, Bild für Bild, scheinbar gleich. Immer paarweise wechselt Schwarz über Rot und Schwarz pur. Glänzend oder matt, jedes Bild hat seine Eigenheit, die Unterschiedlichkeit des scheinbar Ähnlichen.
In dieser besonderen Art der Hängung, die auch die Rückseite jeder Leinwand sichtbar macht, muß der Betrachter nicht mehr 'glauben', dass unter dem Schwarz das Rot liegt, sondern er kann es sehen. Und er sieht auch die jeweils individuelle, vom Künstler mit größter Sorgfalt ausgeführte Bezeichnung der Bilder. Die Präsentation im quasi transparenten Raum und die ständig wechselnden perspektivischen Überschneidungen der Gitterstrukturen zeigen die schwarzen Monochromen plötzlich in einer neuen überraschenden Form.
Zwei Ausstellungen, zwei Künstler derselben Generation, zweimal Kunstwerke, die eine Grenzsituation, ja Bruchstelle dokumentieren. Bei Thomas Lenk ist das Frühwerk eines Bildhauers zu sehen, in welchem das Gestaltungsprinzip der Schichtungen, mit denen er kurz darauf international bekannt werden sollte, bereits latent sichtbar wird. Als Bernard Aubertin nach vier Jahrzehnten sein Rot zuerst versteckte und dann ganz verließ, als auf das Schwarz ein Braun, ein Grau, ein Weiß, Gold und Silber folgten, da überschritt er die Grenze zu einer Freiheit, die zugleich alle Möglichkeiten wie auch alle Gefahren in sich birgt.
GK 16.2.2014